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Den Nazis entronnen

Frau Dietz zu Besuch am Ursulinen-Gymnasium

Am 20.2.2008 hielt Frau Dietz für alle 10. Klassen und deren Lehrer zum Thema Nationalsozialismus – Aus Sicht einer Jüdin einen Vortrag. Mittlerweile ist sie 87 Jahre alt und hatte so einiges zu erzählen.

Frau Dietz wuchs im kleinen Ort namens Bad Ems auf. Schon im Jahre 1933 werben die Nationalsozialisten, die kurz zuvor die Macht übernommen hatten, für die Hitler-Jugend (HJ) und den Bund Deutscher Mädel (BDM). Frau Dietz und deren jüngere Schwester werden von Anfang an davon ausgeschlossen, da sie Juden sind.
1933, sie war damals 12 Jahre alt, starb ihr Vater. Er war Abgeordneter und hatte am Abend des 25. März 1933 eine Sitzung. Spät in der Nacht hörte das junge Mädchen Schritte auf der Treppe. Als sie nachsah, lief sie zwei Männern in die Arme. Die Mutter kommt dazu und beide erfahren, dass der Vater an einem Herzinfarkt gestorben sei. Daraufhin kommt der Onkel angereist, um das Geschäft der Familie weiter zu führen.
Doch 1934 lässt die NSDAP vor jüdischen Geschäften SA Besatzungen postieren. So kam es, dass sich keiner mehr traute in ihrem Geschäft einzukaufen. Auch in der Schule wurde es für die beiden Schwestern immer unerträglicher: Die Lehrer nahmen sie nicht mehr dran, wenn sie sich meldeten, sie bekamen schlechtere Noten als ihre Mitschüler und die Bänke waren mit Beschimpfungen bekritzelt. 1935 entschließt sich Edith Dietz die Schule zu verlassen und in Berlin eine Ausbildung zur Kindergärtnerin zu beginnen. Dies war noch die einzige Ausbildungsmöglichkeit, die sie in Deutschland hatte.

Die Olympiade brachte 1936 zahlreiche Veränderungen mit sich, allerdings nur kurzfristig. Es wurden sämtliche Verbotsschilder für Juden an öffentlichen Einrichtungen abgehängt. Deutschland wollte bei den ausländischen Sportlern und Besuchern den Eindruck hinterlassen, dass die ‚‚angeblichen’’ Zutrittsverbote für Juden, u.a. für öffentliche Veranstaltungen und Kinos, nicht der Wahrheit entsprächen.
Berlin hatte für Fr. Dietz etliche Vorteile, u.a. die Anonymität. Hier, in der Großstadt war sie nicht bekannt. Ganz im Gegensatz zu Bad Ems. Am Tag der Reichskristallnacht (9.11.1938) warteten viele der in Berlin untergebrachten, von auswärts kommenden Kindergärtnerinnen auf eine Nachricht von daheim. Denn es wurden jüdische Männer deportiert und Synagogen niedergebrannt. Es gab für junge Frauen noch eine Möglichkeit dem damaligen Geschehen zu entfliehen: Die Ausbildung zur Krankenschwester in England und der anschließenden Verpflichtung für 5 Jahre. Schon zu dieser Zeit wurden viele jüdische Kinder nach England geschickt, um dort in Frieden aufwachsen zu können.
Als E. Dietz am 2. September 1939 in Koblenz eine Uhr mit extra großem Sekundenzeiger kaufen wollte (diese brauchte man zur Arbeit als Krankenschwester), füllten sich mit einem Mal die Straßen mit Soldaten, die mit lauter Fähnchen in der Hand die Straßen entlang marschierten. Der Krieg war ausgebrochen. "Dies war zwar schon einen Tag früher der Fall gewesen", erzählt Frau Dietz, "doch wir erfuhren es erst am 2.11.1939".

Nun war es ihr unmöglich, nach England zu reisen, denn ihre gepackten Koffer standen ja noch in Berlin. Nach diesem Ereignis fuhr sie zurück in ihren Heimatort Bad Ems. Doch sie traute sich kaum auf die Straßen, fürchtete die Beschimpfungen, Beleidigungen und Blicke der anderen. Zudem war ihre Mutter erkrankt. Ihr Zustand verschlimmerte sich derartig, dass sie im Sommer 1940 in ein Krankenhaus musste. Doch das in Bad Ems nahm keine Juden auf. In Köln gab es ein Judenkrankenhaus, in das sie gefahren wurde. Köln wird zu dieser Zeit bereits bombardiert. Der Krieg ist in vollem Gange. Edith Dietz’ Mutter stirbt im August 1940. Sie fährt zurück nach Berlin. Dort erhielt sie die Nachricht, dass Juden, darunter auch ihre Tante, deportiert wurden. Von ihr hat sie nie wieder etwas gehört.

Das Jahr 1941 brachte eine mittelalterliche Veränderung mit sich: den Judenstern. In Berlin wurde am 15. September 1941 bekannt gegeben, dass jeder Jude und jede Jüdin ab dem 19. September einen solchen Stern zu tragen hätte. Daraufhin erledigten die Juden alles, was ihnen mit Judenstern nicht mehr möglich war. Zudem mussten sie einen weißen Stern mit derselben Aufschrift an ihrem Haus anbringen, damit sich kein Deutscher dort verirrte. Denn es war den Deutschen und den Juden strengstens untersagt miteinander in Kontakt zu stehen.
Als der "große Tag" kam, an dem jeder Jude einen solchen Stern tragen musste, zeigte sich auf manchen Gesichtern der anderen Menschen auf der Straße Empörung.

Als nächstes erzählte uns Frau Dietz von ihrer abenteuerlichen Flucht mit ihrer Schwester in die Schweiz. Diese ereignete sich Ende September 1942. Die beiden jungen Frauen fahren mit dem Zug nach Tiengen. Von dort aus nehmen sie abends einen Feldweg in Richtung der deutschen Grenze. Nur mit Mühe überstehen sie den Weg in die Schweiz. Doch als ein Wachmann vor ihnen steht und sie von ihm erfahren, dass sie in der Schweiz sind, können sie ihr Glück kaum fassen. Er erklärt ihnen jedoch, dass er sie zurück zu den Wachmännern bringen muss. Die beiden Schwestern flehen darum, nicht an die Deutschen ausgeliefert zu werden. Der Argwohn der beiden ist groß gegenüber dem Mann, doch sie vertrauen ihm und er bringt sie zu den Schweizer Wachen. Nach einem weiterem Fußmarsch und dem Ausfüllen etlicher Formularbögen und noch mehr Fragen, sind die beiden endlich in einem Fremdenzimmer untergebracht. Sie haben es geschafft und sind in Sicherheit.

Wie gebannt haben wir Schüler Frau Dietz zugehört. Es ist sehr bewegend und in der heutigen Zeit, in der die Achtung eines Menschen schon so selbstverständlich ist, wie sich die Zähne zu putzen, ist es für uns noch immer unvorstellbar wie Menschen zu solchen Gräueltaten fähig sind. Deshalb ist es wichtig, dass dies nicht mehr vorkommt und die Geschichten von damals nicht in Vergessenheit geraten.
Es gibt leider nur noch sehr wenige Menschen, die die Zeit des Nationalsozialsozialismus miterlebt haben. Und es sind noch weniger, die darüber reden möchten. Dies macht die Zeitzeugen für uns so kostbar und Frau Dietz wird uns allen mit Sicherheit noch lange in Erinnerung bleiben.

Frau Dietz hat mittlerweile 3 Bücher veröffentlicht, in denen sie ihre Geschichte erzählt:
1. Den Nazis entronnen, 1933-1942
2. Freiheit in Grenzen, 1942-1946
3. Der Kreis schließt sich, Nachkriegszeit

J. Gallian